BGH: Kündigung wegen Mängeln vor Abnahme gem. § 4 Abs. 7 VOB/B unwirksam

Wir möchten auf eine Entscheidung des BGH von Januar 2023 aufmerksam machen, die im Markt für eine gewisse Unsicherheit gesorgt hat.

Denn: entgegen der bisher geübten Praxis wird künftig bei Mängeln vor Abnahme und einer gewünschten Selbstvornahme keine Kündigung des Bauvertrages mehr – so einfach – möglich sein, wenn die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart wurde.

Sachverhalt

Der BGH hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Auftraggeberin (Beklagte) eine Auftragnehmerin mit dem Ausbau der Stadtbahnlinie zur Durchführung der notwendigen Tiefbauarbeiten beauftragt hatte. Zwischen den Parteien war die VOB/B mit einigen vertraglichen Abweichungen – und somit nicht als Ganzes – vereinbart worden. Das Auftragsvolumen belief sich auf ca. EUR 3 Mio.

Im Zuge der Arbeiten war es zwischen den Beteiligten zu Streitigkeiten hinsichtlich der Betonfestigkeit und -qualität gekommen. Die Auftraggeberin kündigte sodann vor Abnahme den Bauvertrag nach gesetzter und erfolglos verstrichener Mängelbeseitigungsfrist hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten. Die Auftragnehmerin verklagte die Auftraggeberin auf Zahlung des Restwerklohnes in Höhe von EUR 2.465.744,20 – die Auftraggeberin erhob Widerklage und forderte die Zahlung der Ersatzvornahmekosten, die Rückzahlung von überzahlten Abschlagszahlungen sowie Mängelbeseitigungskosten.

Entscheidung des BGH

Der BGH stellt fest, dass ein Kündigungsrecht aufgrund von Mängeln gem. §§ 4 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1, Satz 1, 1. Var. VOB/B einer AGB-rechtlichen Prüfung nicht standhält, wenn die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart wurde und der Vertrag vom Auftraggeber einseitig gestellt wurde. Die Regelung des § 4 Abs. 7 VOB/B weiche wesentlich von der gesetzlichen Regelung des § 648a BGB ab und sei mit dem gesetzlichen Grundgedanken, dass eine Kündigung nur aus wichtigem Grund gerechtfertigt sei, nicht vereinbar. Der Auftragnehmer werde durch die Klausel unangemessen benachteiligt. Der „wichtige Grund“ stelle in diesem Zusammenhang eine hohe Hürde dar. Es muss dem Auftraggeber unzumutbar geworden sein, an dem ursprünglichen Vertrag weiterhin festzuhalten. Der BGH stellt klar, dass es nicht vertretbar sei, dass nach dem Wortlaut der Regelung der VOB/B selbst geringfügige und damit nicht wesentliche Mängel zu einer wirksamen Kündigung führen können. Diese Regelung stünde in Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 640 Abs. 1 S 2 BGB, welche dem Auftraggeber die Verweigerung der Abnahme wegen (lediglich) nicht wesentlicher Mängel gerade nicht gestattet.

Auswirkungen für die Praxis

Diese Entscheidung hat insbesondere für Auftraggeber großen Einfluss auf aktuelle Bauverträge, in denen oftmals die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart wird. In der weiteren Beratungspraxis wird es zukünftig für die Kündigungsmöglichkeit nach §§ 4 Abs.7 Satz 3 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1, Satz 1, 1. Var. VOB/B auf die Herausarbeitung der Wesentlichkeit des Mangels ankommen, um die Gefahr einer freien Kündigung (mit den daraus resultierenden Vergütungsfolgen) vorwegzunehmen.

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