HOAI: „HEXIT“ – Ein Ende mit Schrecken?
01.03.2019

I. Verfahrensgang

Nach Auffassung der Europäischen Kommission hindern die von der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) festgesetzten Mindest- und Höchsthonorare Architekten und Ingenieure aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union am Marktzugang, soweit diese ihre Leistungen nicht zu Preisen unter den für die in Deutschland niedergelassenen Planer festgelegten Mindestsätzen oder höherwertige Leistungen zu Honoraren über den Höchstsätzen anbieten dürften. Dies hat die Kommission zum Anlass genommen, am 23. Juni 2017 beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Vertragsverletzungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der Niederlassungsfreiheit zu erheben; das Verfahren wird beim EuGH zu Az. C-337/17 geführt.

II. Schlussanträge des Generalanwalts

Nach mündlichen Verhandlung vom 7. November 2018 hat der zuständige Generalanwalt Maciej Szpunar am 28. Februar 2018 die Schlussanträge gestellt (abrufbar unter curia.europa.eu). Nach Auffassung des Generalanwaltes habe die Bundesrepublik Deutschland gegen geltendes Europarecht verstoßen, „indem sie Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren durch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure zwingenden Mindest- und Höchstsätzen unterworfen hat“ (Rz. 113), weil diese Honorarregelungen die Niederlassungsfreiheit behinderten und die Wettbewerbsfähigkeit von Planern aus anderen Mitgliedstaaten einschränkten (Rz. 37 – 43). Diese Beschränkungen seien nicht gerechtfertigt, auch nicht unter den von der Bundesrepublik Deutschland vorgebrachten Argumenten der Sicherung der Qualität der Planungsleistungen, des Verbraucherschutzes, der Bausicherheit, der Erhaltung der Baukultur, des ökologischen Bauens und der Sicherung eines hohen Qualitätsstandards.

III. Unwirksamkeit der Mindestsätze

So habe die Bundesrepublik Deutschland weder dargelegt, dass die festgesetzten Mindesthonorare geeignet seien, die Qualität der Planungsleistungen sowie den Verbraucherschutz zu fördern (Rz. 91 – 94), noch dass ein verstärkter Preiswettbewerb zu einer Minderung der Qualitätsstandards führe (Rz. 102). Zudem seien die Bestimmungen der HOAI nicht erforderlich, um die Qualität der Planungsleistungen und den Verbraucherschutz zu sichern, da hierzu andere Maßnahmen möglich seien, die die Niederlassungsfreiheit nicht oder weniger beschränken würden. Beispielhaft führt der Generalanwalt „berufsethische Normen, Haftungsregelungen und Versicherungen, Informationspflichten, Pflichten zur Veröffentlichung von Tarifen oder zur Festlegung von Richtpreisen durch den Staat“ an (Rz. 106). Nach seiner Auffassung habe die Bundesrepublik Deutschland nicht dargelegt, dass die Mindestsatzregelungen der HOAI gegenüber diesen Maßnahmen besser geeignet seien, die Qualität der Planungsleistungen und den Verbraucherschutz zu gewährleisten.

IV. Unwirksamkeit der Höchstsätze

Generalanwalt Szpunar bestätigt zwar zunächst die Auffassung der Bundesrepublik Deutschland, dass die geltenden HOAI-Höchstsätze zum Schutze der Verbraucher geeignet seien, weil „sie für Transparenz sorgen und vor überhöhten Honorarforderungen schützen“ (Rz. 110), jedoch seien die Höchstsätze für den Verbraucherschutz nicht erforderlich. Nach Auffassung des Generalanwalts habe die Bundesrepublik Deutschland nicht nachgewiesen, dass Verbraucher nicht auch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen geschützt werden könnten, wie „beispielsweise Preisorientierungen, die Verbrauchern eine konkrete Vorstellung davon ermöglichen, wie eine Dienstleistung üblicherweise vergütet wird“ (Rz. 110).

V. Weiterer Verfahrensgang

Sofern sich der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts Szpunar anschließt, entfaltet das der Klage stattgebende Urteil zunächst nur Rechtswirkungen zwischen der Europäischen Kommission und der Bundesrepublik Deutschland, die dann – in der Regel binnen eines Jahres – das Urteil umsetzen muss. Der Verordnungsgeber muss dann entscheiden, welche Maßnahmen er ergreift. Denkbar ist beispielsweise, an den Mindest- und Höchstsätzen festzuhalten und den Anwendungsbereich der HOAI europarechtskonform weiter einzuschränken oder das verbindliche Preisrecht aufzuheben (wie derzeit bei den Beratungsleistungen). Erfolgt die Umsetzung des der Klage stattgebenden Urteils verspätet oder unzureichend, kann die Kommission beim EuGH die Festsetzung (empfindlicher) Zwangsgelder beantragen.

VI. Auswirkungen auf die geltende HOAI

Im Falle eines „HEXIT“, bliebe die HOAI zwar bis zu einem Tätigwerden des Verordnungsgebers weiterhin geltendes Recht, jedoch hat Generalanwalt Szpunar in seinen Schlussanträgen bereits darauf hingewiesen, dass die der Entscheidung zugrunde liegende EU-Richtlinie „unmittelbar anwendbar“ sei und „den Mitgliedstaaten von Einzelpersonen entgegengehalten werden kann“ (Rz. 25). Insoweit kann daher eine etwaige Europarechtswidrigkeit der geltenden HOAI auch auf bereits geschlossene Architekten- und Ingenieurverträge „durchschlagen“.

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