Rückenwind für den Gebäudetyp E aus Hamburg!
Der Hamburg Standard zum kostenreduzierten Bauen – eine Blaupause auch für andere Bundesländer?! Welche rechtlichen Möglichkeiten der Umsetzung bestehen? Darauf gehen wir nach einer Beschreibung des Hamburg Standards und des Gebäudetyps E mit konkreten Vorschlägen ein.
Der neue Hamburg Standard
Am 10.02.2025 präsentierte die aus Bürgerschaft und Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg initiierte „Initiative kostenreduziertes Bauen“ das Ergebnis ihrer Studie. Über 200 Fachleute, VertreterInnen der Praxis sowie Entscheidungsverantwortliche von rund 100 Institutionen der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand haben daran ein Jahr gemeinsam gearbeitet, um aufzuzeigen, wie die Baukosten im Wohnungsneubau nachhaltig gesenkt werden können. Das Ergebnis ist optimistisch und kommt zu einer Kostensenkung von bis zu 30 %.
Die Studie zeigt im Handlungsfeld „Kostenreduzierende Baustandards“ an 39 Beispielen detailliert auf, wo von anerkannten Regeln der Technik abgewichen werden kann, ohne dafür Einschränkungen in der Sicherheit der Gebäude oder „große“ Komfortverluste hinnehmen zu müssen. Die Beispiele werden in einer Arbeitshilfe zusammengefasst und erklären, von welchen Standards abgewichen werden soll, welche Auswirkung dies für den Bau und die Nutzung des Gebäudes hat und welche Kostenersparnis damit einhergehen kann. So geht es z.B. um Abweichungen vom der DIN 4109-1 bei der Trittschalldämmung von Balkonen oder Decken, letzteres insbesondere im Bestand, die insgesamt zu einer Einsparung von 56 €/m2 Wohnfläche führen können. Oder um eine Abkehr von der Mindestausstattung mit Elektroanschlüssen gem. DIN 18015-2, Tabelle 2, wonach Glasfaseranschlüsse z.B. ausschließlich in einem und nicht in allen Wohnräumen vorhanden sein müssen oder die Anzahl der notwendigen Steckdosen reduziert werden könnte (Einsparung: 6 €/m2 Wohnfläche).
Die Diskussion über den Hamburg Standard führt den Prozess zum kostenbewussten Bauen im Sinne eines „einfacheren“ Gebäudestandards, im Sinne des Gebäudetyps E, fort. Auch der Gebäudetyp E („E“=einfach) ist auf das Abwerfen von unnötigem Ballast in Form von technischen Regelungen hin ausgerichtet und zielt auf die Abkehr von nicht sicherheitsrelevanten, gesetzlichen Vorschriften, technischen Baubestimmungen und anerkannten Regeln der Technik. Auch dort stehen Regelungen zum Schallschutz, zur Haustechnik, zur Verwendung von alternativen Baustoffen, zu Stellplätzen usw. im Vordergrund. Die Bayerische Architekten-kammer hatte den Diskurs hierzu 2022 eröffnet und 19 Pilotprojekte angestoßen, die Aufschluss zu notwendigen und zu überflüssigen Regelwerken geben. Das Bundesbauministerium hat zuletzt darauf aufsetzend eine Leitlinie mit markanten Beispielen und Vertragsformulierungen erstellt. Diese Leitlinie steht zum Download hier zur Verfügung.
Rechtliche Umsetzung
Mit den Erfahrungen der Bayerischen Architektenkammer, der Leitlinie des Bundes und dem Hamburg Standard liegen mittlerweile sehr konkrete Vorschläge für technische Lösungen zum kostenreduzierten Bauen außerhalb des bislang geltenden technischen Regelwerkes vor. Die Diskussionen dazu werden ergebnisoffen geführt. Die Regelwerke könnten im kleinen und im großen Rahmen, also bei konkreten Bauvorhaben oder über Beschlüsse politischer Gremien, Verbände, staatlicher Einrichtungen o.ä. erweitert werden.
Bei der rechtlichen Umsetzung dieser Standards sind zwei Ebenen zu unterscheiden:
1) Öffentlich-rechtliche Abweichungen und Befreiungen von gesetzlichen Bestimmungen
Zahlreiche vereinfachende Standards weichen u.a. vom Gebäudeenergiegesetz sowie von den Regelungen der Bauordnungen, der Bauprodukte- und Bauartenverordnung oder von den sog. „eingeführten Technischen Baubestimmungen“ der Länder ab. Bei Letzteren handelt es sich um anerkannte Regeln der Technik, deren Regelungsbereich auch öffentliche Belange z.B. der Barrierefreiheit, des Schallschutzes, des Brandschutzes o.ä. abdecken und die – in der Regel über eine ministerielle Verordnung – den Rang eines Gesetzes erhalten. Befreiungen und Abweichungen von diesen Regelungen sind gesetzlich u.a. nach § 102 GEG bzw. §§ 69, 88 und 23 BauO NRW möglich. Für die dazu im Wesentlichen vorzulegenden Lösungsalternativen, die nachbarliche Interessen sowie öffentliche Belangen gleichwertig berücksichtigen, bieten der Hamburg Standard und die Leitlinie des Bundes grundlegendes Argumentationsmaterial.
2) Zivilrechtliche Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik
Auf zivilrechtlicher Ebene kann jede Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik automatisch einen Mangel sowohl des Bauwerkes als auch des Kauf- oder Mietgegen-standes bedeuten. Die Verwirklichung der oben beschriebenen kostensenkenden technischen Standards wäre mithin nur dann „mangelfrei“ möglich, wenn in Bezug auf die für das Bauwerk geltenden anerkannten Regeln der Technik rechtswirksame vertragliche Ausnahmeregelungen getroffen werden.
Sämtliche Abweichungen bedürfen dazu einer transparenten, im Einzelnen begründeten Darstellung der Regelung, von der abgewichen werden soll und der Konsequenz der Abweichung für die am Bau beteiligten Unternehmen und für die späteren Nutzer. Um die dadurch detailliert getroffenen technischen Beschaffenheits-beschreibungen unverändert von der Planung über die Realisierung bis zur Verwertung der Immobilie durchstellen zu können, hat sich der diesbzgl. Maßstab am Letztadressaten zu orientieren, der im Falle der Anmietung oder des Verkaufes einer Wohnung auch ein Verbraucher sein kann.
Die Anforderungen an eine solche Vertragsregelung sind hoch, da die darin enthaltene Aufklärung – in der Regel in einem Anhang zum Vertrag ausgegliedert – umfassend sowie eindeutig formuliert sein muss. Dabei müssen z.B. auch Wechselwirkungen von technischen Baubestimmungen, von denen abgewichen werden soll, beachten werden. So kann z.B. eine Trittschalldämmung, die in einem verringerten Maße als üblich ausgeführt werden soll, zugleich auch die Funktion einer Wärmedämmung übernehmen, die aber unverändert aufgebracht werden soll. Es muss sichergestellt sein, dass der Besteller am Ende die vereinbarte Leistung mit der bestellten Qualität erhält.
Der Bundesgesetzgeber hatte mit dem „Gebäudetyp-E-Gesetz“ versucht, diese Unsicherheit durch eine Änderung des BGB zu beseitigen. Aufgrund des Bruches der Ampelkoalition 2024 ist es zum Erlass dieses Gesetzes nicht mehr gekommen. Unseres Erachtens bietet eine klare vertragliche Regelung im Sinne des Bestellerprinzips aber eine Möglichkeit, reduzierte Baustandards auch ohne Änderungen des BGB zu vereinbaren. Dazu zählen eine Baubeschreibung, die das Bauwerk (positiv) definiert, und eben die damit verbundene klare (negative) Abgrenzung zu den baulichen Standards, die mit dieser Baubeschreibung nicht eingehalten werden. Auch hierzu bieten der Hamburg Standard und die Leitlinie Formulierungshilfen, auf die aufgesetzt werden kann.

Quelle: Bundeministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Gebäudetyp E – Leitlinie und Prozessempfehlung, 2024, S.18
Der Fokus der Baubranche sollte im Zusammenhang mit der Diskussion zum kostensparenden Bauen darauf gerichtet werden, den Katalog möglicher Vereinfachungen der technischen Regelwerke fortzuschreiben, der in rechtlicher Hinsicht eindeutig formuliert werden muss und dann über die vertraglichen Vereinbarungen Eingang in die Praxis finden kann. Und damit kann man u.E. schon jetzt beginnen.
Düsseldorf, den 25.02.2025
Ihr Ansprechpartner:
Dr. Thomas Spiegels
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Real Estate & Construction
Administration & Procurement
Telefon: +49 (0) 211 8 82 92-9
Telefax: +49 (0) 211 8 82 92-6
spiegels@mkrg.com